Seit Herbst diesen Jahres gibt es in London einen neuen kulturellen Hotspot.
Nicht nur für den kunstaffinen, gleichermassen für den architektur-interessierten Besucher.
Am 28. September eröffnete das renommierte Serpentine Museum in der britischen Metropole ein zweites, zusätzliches Ausstellungsgebäude: die Serpentine Sackler Gallery. Benannt nach Dr. Mortimer und Dame Theresa Sackler, deren Stiftung die Finanzierung des Projekts ermöglichte. Bloomberg Philanthropies, langjährige Unterstützer der Serpentine Gallery, stellten ebenfalls großzügig Mittel zur Verfügung. Michael Bloomberg, derzeit noch amtierender Bürgermeister New Yorks, wird im kommenden Jahr den Vorsitz der Galerie übernehmen.
Architektonisch verantwortlich für das neue Ausstellungsgebäude zeichnet Pritzker-Preisträgerin Zaha Hadid. Ihr Name ist untrennbar verbunden mit kühnen, unkonventionellen Bauformen. Die gebürtige Irakerin studierte zuerst Mathematik in Beirut, 1972 wechselte sie an die Architectural Association School in London -die Stadt ist inzwischen seit 40 Jahren ihre Wahlheimat- und lernte unter anderem bei Rem Kohlhaas. Einen eigenen Entwurf konnte sie erstmals 1993 in Deutschland umsetzen, das Feuerwehrhaus des Vitra-Werks in Weil am Rhein, eine in Beton gegossene Skulptur ohne rechten Winkel. Seither baut sie in der ganzen Welt. Zum ersten Mal wird sie demnächst auch im Irak tätig werden, sie erhielt kürzlich den Auftrag für den Bau der Zentralbank in Bagdad. Für London wünscht sie sich zukünftig mehr Projekte nach Art der Serpentine Sackler Gallery.
Die 43-jährige Geschichte der Serpentine Gallery, die in einem neo-klassizistischen Teehaus aus dem Jahr 1934 residiert, beinhaltet wesentliches Engagement für moderne Architektur.Seit der Jahrtausendwende gestalten international arrivierte Architekten, Künstler und Designer im Jahresrhythmus temporäre Bauten auf dem Gelände in den Kensington Gardens. Initial wurde bereits im Jahr 2000 Zaha Hadids Entwurf für einen Pavillon auf dem Gelände realisiert.
Inmitten der Kensington Gardens, in wenigen Minuten fußläufig zur Serpentine Gallery präsentiert die Architektin 13 Jahre später aufs Neue ihr architektonischen Ideal der Öffentlichkeit, die Abkehr vom rechten Winkel: “Das Wichtigste ist der Fluss der Dinge, eine nicht-euklidische Geometrie, in der sich nichts wiederholt: eine Neuordnung des Raumes.“
Diese spezielle Denkweise trifft nun in London auf einen Bestandsbau von 1805, auf „The Magazine“, ein ehemaliges Munitionslager, das bis in die 1960er Jahre militärisch, und in Folge als Lager für die Parkverwaltung „The Royal Parks“ genutzt wurde.
Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude sollte für die öffentliche Nutzung freigegeben werden. Einen entsprechenden Konzeptwettbewerb gewann 2010 die Serpentine Gallery.
Mit einem finanziellen Gesamtvolumen in Höhe von ca. 14,5 Millionen Pfund und in Partnerschaft mit „The Royal Parks“ erfolgten exklusive Sanierung und Umbau des Magazins sowie die Erstellung eines Ergänzungsbaus. Die gesamte Maßnahme oblag der Federführung von Zaha Hadid Architects. Es entstanden 900 Quadratmeter neue Ausstellungsfläche und ein Restaurant bzw. der „social space“.
Letzteres, insbesondere das Dach des Restaurants, markiert den Eyecatcher im Gesamtensemble: eine weiße, aus Glasfaser gewebte Dachkonstruktion. Deren maßgeschneiderte Membran ist dreischichtig aufgebaut, Polytetrafluorethylen (PTFE), feuerfeste Zwischenschichten und Membrandecke.
Die freifließende Form scheint in der Schwebe, senkt sich sanft an den tragenden fünf Innenstützen, die sie auffangen, ab. Aus der Ferne wirkt es, hätte man ein weißes Laken in die Luft geworfen, das sich beim Herunterfallen fast zufällig auf den Stützen arrangiert.
Weitere Stabilität bietet ein umlaufender Fachwerkträger in ebenfalls freier Form, der an drei Stellen den Boden berührt. Die schwebende Wirkung der Gesamtkonstruktion wird durch die fast umlaufende Ganzglasfüllung zwischen der bis zum Boden geführten Fachwerkkonstruktion verstärkt.
Das Restaurant grenzt an der Ostseite direkt an „The Magazine“, dessen westliche Außenwand stellt seine Innenwand, der beibehaltene Backsteincharakter bricht das auch innen vorherrschende Weiß.
Die fünf Stützen leiten zusätzliches Licht in den Innenraum, ihr konische Form öffnet sich in die Decke annähernd wie die Blüte einer Calla, vorherrschend ist hier aber kein florales, sondern das skulpturale Moment.
Dennoch, die Stützen erinnern an Zaha Hadids „Lila Installation“ im Jahr 2007, ebenfalls eine Arbeit für die Serpentine Gallery, noch deutlicher inspiriert von komplexen, natürlichen Blüten-und Blattgeometrien. Die Inneneinrichtung des Restaurants, Möblierung sowie das Geschirr , entsprechen dem Gesamtkonzept, es sind ebenfalls Entwürfe Zaha Hadids.
Die architektonische Gestaltung des Zubaus kontrastiert mit der neo-klassizistischen Strenge der Aussenhaut des ehemaligen Schießpulverdepots.
Dessen massive Backsteinmauern wurde sichtbar beibehalten. Insgesamt ließ Zaha Hadid den rechten Winkel im Bestandsbau weiter walten und ging reduziert vor. Alle nicht-historischen Elemente wurde entfernt. Ein aufgesetztes Glasdach spendet dem offenen Innenhof des Magazins weiterhin Licht, die beiden ehemaligen Schießpulverlager mit Tonnengewölbe wurden von einem ebenfalls lichtdurchflutetem Umgang eingefasst. Hierdurch wurden optimale Ausstellungsverhältnisse geschaffen. Eine stilgemäße Erweiterung erfolge im rückwärtigen Teil des Gebäudes. Dort wurden Büros und Versorgungsräume untergebracht, sowie Alt-und Neubau verbunden.
Zielführend sollte jedoch bei dem Projekt nicht das Augenmerk auf dem Widerspruch, sondern auf einer Synthese zwischen historischer Bausubstanz und aktuellem Entwurf sichtbar gemacht werden. Zaha Hamid glaubt „..dass sich in der Architektur etwas ausdrücken lässt, von dem wir noch nicht ahnen, dass es möglich ist – eine neue Ordnung der Dinge, ein anderer Blick auf die Welt.
Im Fokus des Ausstellungkonzeptes der Serpentine Sackler Gallery steht, wie gehabt, moderne sowie zeitgenössische Kunst auf höchstem internationalen Niveau. Für das Renommee, das sich die Serpentine Gallery bereits seit den 1960er Jahren mit bedeutenden Ausstellungen erarbeitet hat, stehen Namen wie Gerhard Richter, Ai Weiwei, Andy Warhol, Jeff Koons, um nur einige wenige zu nennen.
Im Zuge der Eröffnungsausstellung werden die Arbeiten der Bildhauerin und Installationskünstlerin Marisa Merz als Vertreterin der italienischen Kunstbewegung „Arte Povera“ und Adrián Villar Rojas präsentiert. Insbesondere der 33-jährige Argentinier dürfte zumindest den Besuchern der Documenta13 noch ein Begriff sein. Sein Metier sind großformatige Skulpturen, sie transportieren Zeitbegriffe,Vergangenheit, Moderne, Zukunft, Endzeitgedanken – Fragen danach, was bleibt und inwieweit menschliche Aktivitäten den Planeten Erde verändern. Seine Arbeiten sind inspiriert von Natur, Popkultur, Science-Fiction und Quantenmechanik. Er bevorzugt Materialien wie Lehm, Schlamm und Ziegel. Ihm gefällt, „…dass die Projekte endlich sind und dass es keinen Markt dafür gibt. Nur das: Man stellt Skulpturen auf, lässt sie zurück und schaut, was mit ihnen passiert.“
Den Fluss der Dinge, in dem sich nichts wiederholt, kann man kaum besser beschreiben.
Autorin: Claudia Bassier