Bjarke Ingels Group: Porträt (AFA-Ausgabe 01/2014)

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Jung, mutig und erfolgreich. So lässt sich in etwa das Team um Bjarke Ingels beschreiben. Nicht bereit zwischen den Kontrahären utopisch und pragmatisch zu differenzieren, wählen die motivierten, jungen Dänen den Weg, der beide Bereiche gleichermaßen abdecken soll. Seit 2005 leitet der 39-jährige Bjarke sein etwa 76-köpfiges Architekturunternehmen unter dem Namen BIG. Doch bereits 2001 erlangt er mit seinem ersten Büro PLOT und zusammen mit seinem damaligen Unternehmenspartner Julien de Smedt, internationale Aufmerksamkeit. Grund dafür sind Bjarkes idealistische Grundsätze und sein daraus resultierender Ausdruck. Sein Stil: plakativer, Pragmatismus mit visionären Tendenzen. Seine Philosophie: „Yes is more!“ Sein Ziel: eine Architektur, die sich durch frische Ideen flexibel an aktuelle Bedingungen anpasst, so Orte generiert, die kompromisslos funktionieren und möglichst alle Bedürfnisse bedient. Das mag etwas utopisch klingen, aber genau das darf es auch. Denn Yes is more! Ja, zu einer Utopie die mit pragmatischen Ansätzen modifiziert, vielleicht zur Innovation werden könnte. Nachdem Ingels 1998 erfolgreich sein Studium beendet, arbeitet er zwei Jahre im Büro OMA für den ebenfalls populären Rem Koolhaas. Es ist durchaus naheliegend, dass seine architektonische Haltung zum Teil auch durch ihn inspiriert und geprägt wurde.
Bjarke Ingels sieht es als die Aufgabe der Architekten, Gesellschaftskonflikte zu erkennen und anhand unkonventioneller Ideen zu stabilisieren. Er überträgt die Verantwortung der zukunftsorientierten Entwicklung ökonomischer, ökologischer und kollektiver Urbanität an Architekturschaffende. Der Maßstab, welchen er dabei an die Architektur stellt setzt neben Funktionalität gleichzeitig auch einen gewissen Hedonismus voraus, woraus sich sein innovatives Geschäftskonzept ergibt. Mit „Yes is more“ drückt Ingels sein Verständnis und seine philosophische Haltung zur Architektur aus. Ja zu mehr…Mut, Größe, Stärke und Kraft. Dieser Grundgedanke findet sich auch in der Abkürzung des Unternehmens „BIG“ wieder-die eigentliche Abkürzung für „Bjarke Ingels Group“, die noch weitere Interpretationen zu lässt. So könnte „BIG“ auch für Großdenker stehen. Kreative, mutige Menschen, die es verstehen über die konventionellen Grenzen hinauszudenken, um neue Möglichkeiten für eine moderne, evolutionierte Gesellschaft zu schaffen. Oder für Großes, im Sinne von Großes erschaffen wollen mit möglichst viel AussageKRAFT. Aber vor allen Dingen sagt die Architekturgruppe auch Ja, zur Realität. Mag sie manchmal auch noch so rau sein. Für Ingels bedeuten Hindernisse Herausforderung. Erst durch die nüchterne Auswertung gegebener Tatsachen, kann auf Missstände positiv reagiert werden.
Die Aufgaben der Architektur formulieren sich grundsätzlich immer aus den Bedürfnissen einer Gesellschaft. Finden soziale Veränderungsprozesse statt, müssen sie erfasst und untersucht werden, denn mit ihnen verändern sich auch die Interessen der Menschen. Dabei sind Lebensgewohnheiten, Rollenverteilung, Wertesysteme und Familienstrukturen zu betrachten. Aktuelle Tendenzen dieser neuen Urbanität finden sich in dem Wandel der work-life-balance, Transparenz, Globalisierung und Mobilität. Zu beobachten ist beispielsweiße eine zunehmende Homogenisierung der privaten und öffentlichen Zonen des Lebens.
Bürounternehmen beispielsweiße, bieten ihren Angestellten immer häufiger private Komfortangebote, was sich positiv auf die Unternehmenskultur auswirkt. Umgekehrt wird Freelancern, die sich früher in home offices organisierten, durch Coworking Spaces eine neue Dimension des gemeinschaftlichen Arbeitens ermöglicht. Was sich früher auf die private Zone beschränkte, wird heute auch in öffentlichen Bereichen angeboten. Und auf genau diesen Umstrukturierungsprozess, welcher auf der Evolution unserer Gesellschaft basiert fokussiert sich die Arbeit von BIG. Die Architekten untersuchen Potentiale des öffentlichen Raums und suchen nach zeitgemäßen Lösungen, die alle Lebensbereiche zu befriedigen versuchen. Ein Beispiel ist das Mountain Dwellings Projekt in Kopenhagen, das im Jahr 2008 fertig gestellt wurde. Das Projekt verknüpft ein attraktives Wohnangebot mit Bereichen öffentlicher Nutzung. Bjarke Ingels wirkt der ebenen Landschaft Dänemarks mit einer raffinierten Architektur entgegen. Er schiebt Parkhausfunktionen und eine Sporthalle unter die 80 Wohneinheiten, was zu einer Abtreppung der Hofhäuser über elf Geschosse führt. Damit wird jeder Einheit ein attraktiver Ausblick und eine unverschattete Südseite garantiert. Gleichzeitig entsteht unter dem Hang aus Wohnmodulen Raum für mehrgeschossige Nutzungen, wie das Parkhaus und die Sporthalle. Diese Bereiche werden von Norden erschlossen und belichtet. In diesem Entwurf zeigt sich die Motivation Gegensätze zu vereinen. Eine dichte Reihenhausbebauung schließt den Vorzug einer Gartenlandschaft nicht aus. Eine ebene Topografie schließt den Vorzug der Hanglage nicht aus.
Um einen Eindruck vom kreativen Repertoire der Architekten, zu gewinnen seien auch nicht realisierte Arbeiten erwähnt. Ein nennenswertes Projekt ist „die bewohnte Brücke“. Hier zeigt sich der philanthropische Leitansatz der BIG-Architektur. Um den Verkehrsproblemen Kopenhagens ohne einen finanziellen Mehraufwand entgegenzukommen, entwickelte das Team eine Brücke, dessen Tragstruktur auf Wohnmodulen basiert. In den oberen Etagen sind Parkebenen vorgesehen und der Abschluss bildet die Verkehrsebene ganz oben. Die Wohnungen profitieren von einer attraktiven Lage direkt auf dem Fluss mit großartigem Ausblick und die zusätzliche Nutzung als Verkehrsangebot dient zugleich den Mobilitätsinteressen der Stadt. Auch wenn der Entwurf nicht verwirklicht wurde, so zeigt er doch innovatives Potential und das wurde mit BIG’s erstem Patent belohnt.
Verschafft man sich einen Überblick über die bisherigen Arbeiten der Bjarke Ingels Group, kann man eine Vorliebe für künstlich generierte Landschaften feststellen. So auch in einem Wettbewerb für eine Konzerthalle in Stavanger, Norwegen. Die Idee war es, das sonst nur einer elitären Minderheit vorbehalte Konzerthaus, für die breite Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Dies gelang anhand einer abgetreppten Fassade, Richtung Meer. Die Vorgaben im Zusammenhang mit den geforderten Hauptfunktionen, einer Konzerthalle und einem Veranstaltungsraum zielten auf zwei Baukörper ab. Die zum Teil in die Landschaft eingebetteten Volumen sind so positioniert dass sich aus dem Zwischenraum eine V-geformte Freifläche ergibt. Um einen Bezug von der Umgebung zum Meer herzustellen wurde dieser Freiraum arenagleich abgetreppt. Dahinter befindet sich die Lobby. Die Architekturgruppe dramatisiert die bereits vorhandene Topografie und integriert eher den Entwurf in die konzeptionelle Absicht. Bei Dunkelheit, wenn die Konzerthalle vorwiegend genutzt wird, entsteht eine strukturierte Fassadenoptik. Die Zwischenräume der Terrassierungen sind verglast und bewirken durch die Hinterleuchtung des Konzerthauses eine leichte, atmosphärische Transparenz. Am Tag steht die gleichermaßen als Fassade dienende Landschaftstreppe der Allgemeinheit zur Verfügung und bietet ein atemberaubendes Meerpanorama unter freiem Himmel. Der durch die Architektur entstandene Freibereich ist so gut inszeniert, dass er beispielsweiße auch für kollektive Veranstaltungen genutzt werden könnte. Leider hat sich auch diese Vision nicht durchgesetzt, konnte aber dennoch begeistern.
Zurzeit wird auf der IBA in Hamburg ein Projekt der Bjarke Ingels Group unter der Überschrift „Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal“ realisiert. Bis Ende 2014 sollen im ersten Bauabschnitt 60 von 130 Wohnungen fertiggestellt werden. Der Entwurf konnte durch Sensibilität hinsichtlich der umgebenden Bestandsbebauung, Energieeffizienz und städtebaulichen, differenten Freiraumqualitäten punkten. Neben diesem Projekt hat BIG aber noch viele weitere internationale Baustellen, welche die Erfolgswelle vorantreiben. Man kann sagen, angesichts dessen, dass Ingels ursprünglich hat Comics statt Architektur zeichnen wollen, ist ihm sein Weg zum Erfolg mehr als gelungen. In den kommenden Jahren wird man wohl noch so einige interessante Projekte aus Kopenhagens populärem Architekturbüro erwarten können.

Autorin: Tamara Scheck