„Lassen Sie mal ihren Computer diese Änderungen für den nächsten Termin auswerfen.“ Ein Satz, der den meisten Architekten schon mal in dieser oder ähnlicher Form in ihrer Berufslaufbahn begegnet ist. Ein Satz, der wie kaum ein Anderer das Unwissen über den Architektenberuf ausdrückt. Und, ein Satz der vielleicht bald nur allzu wahr sein wird. Das Berufsbild des Architekten befindet sich zur Zeit in einem spürbaren Umbruch. In kaum einem Büro wird noch „Bauzeichnung“ praktiziert. Die letzten Zeichentische sind im Architektenblatt gratis zu bekommen. Für Selbstabholer. BIM-bedingt wird der Fokus zukünftig im Bereich der Erhebung, Verarbeitung, Analyse und des Managements von komplexen Datenmengen zu finden sein. Das macht ein zertifizierter BIM-Modeler. Aus dem Computer-Aided-Architectural-Design wird vielleicht bald ein Computer-Driven-Architectural-Design. Computerprogramme sind in der Lage im Rahmen von Verlegeplanung Ornamente zu generieren. Datenbasierte Entwicklung von Freiformen oder Tragstrukturen ist bereits fester Bestandteil des parametric Design. Doch können Computer die Arbeit übernehmen, die wir Architekten abends, nach getaner Selbstausbeutung, angeblich bei einem guten Glas Wein, am liebsten verrichten – den Entwurf? Die Antwort findet sich in verschiedenen Forschungsarbeiten, die beachtlich fähige Computerprogramme entwickelt und in die Testphase geführt haben.
In der computergenerierten Planung bezeichnet man Aspekte der Grundrissplanung als Anordnungsproblem. Hierbei stellt sich die Frage wie grafische Elemente mit vorbestimmten Eigenschaften und Abhängigkeiten, oder einfach Räume, möglichst ideal auf einer Ebene angeordnet werden können und wie man aus der Menge der möglichen Anordnungen die Sinnvollsten heraussuchen kann. Um diese Frage zu beantworten bedient man sich mehrerer Herangehensweisen.
Bei der Betrachtung von Entwurfsregeln werden allgemein anerkannte oder tradierte Regeln im Bauwesen kodifiziert. Darauf basierend soll das Computerprogramm einen Lösungsansatz generieren. Zum Beispiel liegen die Arbeiten von Christopher Alexander et al. (A Pattern Language, Oxford University Press, 1977) diesem Konzept zu Grunde. Die größte Herausforderung liegt hierbei im extrem hohen Komplexitätsgrad der Regelwerke und deren Abhängigkeit von Bauweisen die in ihrem Kulturkreis tradiert sind. Einfache Grundrisslösungen sind durchaus möglich, doch steigt mit wachsenden Anforderungen die Menge an Widersprüchen an, die das Programm lösen können muss.
Ein heute weniger gebräuchlicher Ansatz ist die Darstellung sämtlicher Iterationen der Anordnung von Raumelementen. Da die Menge der auszuwertenden Grundrisse mit der Größe des Raumprogramms exponentiell ansteigt lohnt eine weitere Umsetzung solange nicht, bis die qualitative Bewertung der gewonnen Grundrisse ebenfalls automatisiert erfolgen kann.
Bei einer abhängigkeitsbasierten Betrachtung werden die Räume an Hand der Bedingungen angeordnet, die sich aus ihren Funktionen ergeben. Bei einfachen Abhängigkeitsmodellen wie Lagerhäusern, unkomplizierten Produktionsstraßen und Krankenhäusern, also Gebäuden deren Räume wenigen, zumeist klar umrissenen Funktionen zugeordnet werden können, entstehen einfach beherrschbare Abhängigkeiten. In solchen Fällen lassen sich Grundrisse mit hoher Integrationsdichte erreichen. Hingegen lassen sich unter komplexen Randbedingungen wie unscharf definierter oder flexibler Raumprogramme, wie sie in beengten Verhältnissen üblich sind, kaum konstant gute Ergebnisse entwickeln.
Shape Grammars, sog. Figur-Grammatiken sind ein Ansatz, nach dem eine Ausgangsfigur durch verschiedene Produktionsregeln (mindestens eine Anfangs-, Transformations- und Terminierungsregel) rekursiv modifiziert wird. Die Auswahl und Modifikation der Regeln obliegt einer sogenannten Generierungs-Engine, die nach jedem Modifikationsschritt prüft ob für die entstandene Figur geeignete Regeln vorhanden sind und bei Bedarf entscheidet welche Modifikationsregeln angewendet werden. Dies erfolgt so lange bis eine Terminierungsregel greift.
Angesichts der Tatsache, dass in der Architektur sehr viele Regeln Einfluss auf die Gestaltung nehmen, ist es schwer allgemeingültige Regeln für funktionelle Abhängigkeiten aufzustellen und konsistent reproduzierbare Ergebnisse abzuleiten.
Beim sog. Data-Driven Approach werden Algorithmen darauf trainiert an Hand der Analyse von (sehr vielen) Beispielen Entwurfsmethoden abzuleiten und auf den jeweiligen Fall anzuwenden. Das Problem hierbei liegt aus Sicht des Architekten darin, dass unsere Disziplin darauf fußt dass wir allgemeingültige Regeln kennen und anwenden, aber die Einzigartigkeit des Werks oft davon abhängt dass bewusst solche Regeln gebrochen werden.
Angesichts der Tatsache dass rein programmbasierte Entwürfe auf Grund der Komplexität der Entwurfsaufgaben noch nicht realisierbar scheinen, verfolgen verschiedene Forschungsgruppen planerunterstützende Lösungsansätze. Hierbei gibt der Planende das Raumprogramm und etwaig zu berücksichtigende Randbedingungen vor und bewertet die durch die Software ausgegebenen Lösungen um die Ergebnisse zu verfeinern.
Ein Forschungsteam der Universität Stanford entwickelt seit 2007 ein Programm zum Entwurf computer-generierter Wohnhäuser für den amerikanischen Markt. Hierbei wurde eine Bibliothek aus 120 Regelgrundrissen zur Auswertung angelegt. Basierend auf einem Raumprogramm das eingegeben wird entwickelt die Software einen Grundriss und optimiert diesen in einem nachfolgenden Schritt. Abschließend wird aus einem Fundus an Architekturformen eine entsprechende Fassadengestaltung (Cottage, Italianate, Tudor und Craftsman-style). Auffällig ist hier die starke Marktorientierung. Ziel ist es einem Kunden ein fertiges Modell anzubieten, dass dann von einem Generalunternehmer in ein BIM-Modell übernommen und zur Ausführung angeboten wird. Die Phasen architektonischer Reflexion entfallen vollständig. Der Architekt wird zwar nicht unnötig, sein Beitrag reduziert sich auf den Abgleich der Ausgabe mit den Kundenwünschen und die Sicherstellung der Konformität mit dem Bauplanungsrecht und den einschlägigen Normen.
Ein anderer Lösungsansatz wird von deutschen Forschern verfolgt: Die Entwicklung und Bereitstellung von Programmen zur Unterstützung von Arbeiten die im Rahmen des Entwurfsprozesses anfallen.
Als Ergebnis aus einer Kollaboration des Forschungsbereiches Smart Data & Wissensbasierte Systeme des Deutschen Forschungsinstitutes für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern, unter Prof. Andreas Dengel (Standortleiter DFKI Kaiserslauterni) und dem Fachbereich für Architekturinformatik an der TU München unter Prof. Frank Petzoldii, entstand ein Programm namens METIS. Es soll die Erschließung von inhärentem Wissen in Referenzen erleichtern, erschlossenes Wissen in Building Information Models formalisieren und mittels einer Beschreibungs- und Anfragesprache für räumliche Strukturen Methoden und Modelle zum Auffinden derart formalisierter Strukturen bereitstellen.
Parallel zu dieser Forschungsarbeit, hat ein Team am DFKI ein Programm namens Archistant entwickelt. Das Team um Dr. Syed Saqib Bukhariiii hat ein Tool entwickelt, dass ausgehend von einer vorläufigen Funktionsskizze Grundrisse aus einer Bibliothek recherchiert und bereitstellt. Der oder die Planerin kann den Entwurf modifizieren, das Raumprogramm präzisieren und das Angebot bewerten. Hieraus lernt der Algorithmus seine Antworten anzupassen und Grundrisse bereitzustellen die die Anforderungen besser erfüllen. Bei der Datenbank handelt es sich um ein abhängigkeitsbasiertes Modell, dessen Referenzen durch Projektpartner und durch Studenten eingelesen werden. In Zukunft sollen über die IFC-Schnittstelle Planer ihre Projekte der Datenbank zur Verfügung zu stellen können. Nach einer Bewertung des Prototyps durch Studenten der TU-München befindet sich Archistant, seit Anfang des Jahres, bei rheinlandpfälzischen Architekten in der Testnutzung. Das Produkt kann zum gewerblichen Einsatz über das DFKI in Kaiserslautern bezogen werdeniv.
Durch die Einbindung derartiger Programme in die Planungsprozesse wird den Planern die Entwurfshochheit nicht abgenommen. Die Programme fungieren als Rechercheassistent und stellen Daten zur Verfügung, die sonst nur unter erhöhtem zeitlichen und finanziellen Aufwand erhältlich wären. Des Weiteren entwickeln sich die Programme an Hand des Feedbacks von Architekten weiter. Dieser Ergebnisoffene Ansatz birgt die Möglichkeit das diffuse Feld des Entwerfens als solches beizubehalten und gleichzeitig von datenbasierten Entwurfsstrategien zu profitieren.
Architektursoftware unterlag in den letzten zwanzig Jahren einer rasanten Entwicklungsbeschleunigung. Der Übergang von der perspektivischen Architekturzeichnung über die 2D-CAD-Zeichnung bis zum digitalen Architekturmodell und schließlich zum frei parametrisierbaren Building-Information-Model hat etwa dreißig Jahre in Anspruch genommen. An Algorithmen zur Architekturplanung wird seit beinahe fünfzig Jahren geforscht. Software übernimmt einen stetig wachsenden Anteil am Architekturschaffen. Der Umgang mit komplexen Werkzeugen ist für uns Architekten schon immer Teil unseres Berufsbildes. Die Entwicklung von und der Umgang mit Methoden mit denen wir Datenmengen die wir bei unserer Arbeit erheben, auswerten und verwalten wird in Zukunft einen deutlichen Anteil an unsere Arbeit einnehmen und unsere zukünftige Art zu entwerfen grundlegend beeinflussen.
Paul Mocanu
i http://www.professoren.tum.de/en/petzold-frank/
ii http://agd.informatik.uni-kl.de/team/lehre/prof-dr-prof-hc-andreas-dengel/
iii http://www.dfki.de/~bukhari/
iv http://www.dfki.uni-kl.de/archistant/