Container-Architektur

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Von universellen Boxen zu Unikaten

Ihre Optik dominiert Verladeterminals großer Häfen rund um den Globus: Schmucklose Stahl-Boxen, quaderförmige Kuben mit gewelltem Profil, stehen hier gestapelt in Reih und Glied. Als streng geometrisch konzipierte Räume, ISO-normiert im Format, tragen Container seit ihrer Erfindung durch Malcom McLean im Jahr 1956 einer ökonomisierten Logistik Rechnung. Längst mehr als nur Universalgebilde für Lagerung und Transport von Fracht haben sie Eingang in die Architektur gefunden. Nicht nur durch die hohe Stabilität ihrer simplen Stahlkonstruktion mit tragenden Wänden, auch durch kosteneffiziente Möglichkeiten, sie als modulare Bauelemente spezifischen quantitativen sowie ortsbezogenen Raumanforderungen anpassen zu können, dienen Container neuartigen Konzepten mit einer meist temporären Nutzung in den Bereichen Wohnen und Arbeiten – variabel befüllbare Orte, changierend zwischen Kunst und Kommerz.

Ob seines rauen Erscheinungsbildes avanciert zum Objekt mit Kultstatus, ist es der Transfer seiner Idee auf architektonische Lösungen, einhergehend mit assoziativer Aufladung, der den Container nicht erst seit heute baugeschichtlich zu einem Experimentalfeld macht. Bereits in den 1920er Jahren herrscht, inspiriert von Ozeandampfern, die Forderung nach derart flexiblen, da additiven, stapelbaren und strukturell freiheitlichen Raummodulen: Die seriell produzierbare „cellule commande“ mit einer Grundfläche von 15 Quadratmetern als Derivat einer Schiffskabine, von Le Corbusier konzipiert für die Unité d’Habitation (Marseille, 1947-52) im Glauben an die „Unfehlbarkeit des Kubus“, sollte – als Prototyp für das moderne Haus symbolisch – ebenso wie zeitgenössische Projekte dieser Art sozialen Bedürfnissen innerhalb des demografischen Wandels gerecht werden. Eine solche Idealisierung von Typen und Normen, wie William J.R. Curtis artikuliert, mag als Pioniergedanke auch für die Container-Architektur gelten, zahlt doch die damals bereits intendierte Loslösung des Raumes von dem Skelettrahmen – Le Corbusier definierte seine Wohnzellen als in ein Regal einschiebbare Flaschen – auf das immanente Postulat des modernen Nomadentums nach Mobilität, erinnernd an Archigrams Walking City (1964), ein. Der visionäre Entwurf der italienischen Architekten Luca d’Amico und Luca Tesio scheint dies zu bestätigen. Ihr Nomad Skyscraper (2011) zeigt sich als Rahmenkonstruktion für einsteckbare Frachtcontainer. Plattformen innerhalb des regelmäßigen Stahlrasters dienen zwischen den mobilen Behausungen nicht nur als standarisiertes Tragwerk, sondern bieten als Stellvertreter eines urbanen Gefüges Raum für gesellschaftlichen Austausch.

Eine Weiterentwicklung findet das Konzept bei OVA Studio: Statt Container zur Wohnnutzung beherbergt das für Hong Kong entworfene Hive-Inn (2014) Hotelzimmer und ein auf Nachfrage reagierendes austauschbares kommerzielles Angebot. Doch als Renaissance einer architektonischen Moderne scheinen derartige Projekte vorerst Zukunftsvisionen zu bleiben. Denn obschon sich die Baukunst mit Containern grundsätzlich durch ihr Potenzial an Ortsungebundenheit als Gegenpol zum traditionellen Bauen definiert, funktioniert die Transformation zu Architektur, gerade durch eine Zweckentfremdung: Als mobil intendierte Objekte werden erst durch eine – wenn auch zeitbegrenzte – Verortung sowie durch raumdurchdringende Interaktionen von Innen und Außen zu Immobilien. Auch wenn die Homebox (2009) von Han Slawik an jedwedem Ort der Welt aufgestellt werden könnte, versteht sie sich weniger als Massenprodukt, denn als Solitär. Schroffer Stahl weicht hier der wohnlichen Holzästhetik der Fassade. Vertikal gestellt verfügt die Wohnbox, ähnlich einem kleinen Haus, über drei gleich hohe Geschosse, deren zoniertes Mehrraumsystem funktional im Hinblick auf eine zunehmende Privatsphäre ausgerichtet ist: So befinden sich Versorgungseinheiten parterre, über einen Schlafbereich ist der Aufenthaltsraum mit Ausblick zugänglich. Unter der Prämisse lediglich temporär bewohnbar zu sein, kann das Projekt als Notunterkunft oder als ‚mobile home’ für Events eingesetzt werden.

Aus einer Kombination von industriellen und traditionellen Materialien mit dem Ziel der Repräsentabilität dagegen resultiert das Redondo Beach House (2007). Aus recycelten Containern, überdimensionalen Toren, Acrylglas sowie Sperrholz entwarfen DeMaria Design Associates ein Hybrid, das Architektur zwar als Low-Budget-Produkt, dennoch aber als vollkommen ausgestattetes und nachhaltiges Wohnsystem an einem etabliertem Standort versteht. Definiert sich in solchen Projekten die Integration von Containern als Symbol für Leben und Wohnen in einer globalisierten, von Dynamik geprägten Zeit, fungieren die Frachtboxen in ihrer Koppelung zu größeren Raumzusammenhängen aus statischen Gründen als ein nur noch zufällig transformiertes Wohnmodul. Offenen, weil individuell angefertigten Systemen stehen geschlossene gegenüber. Obschon auch hier gestalterische Ziele im Fokus stehen, bleiben Reminiszenzen an die ikonische Charakteristika weitaus mehr evident. So macht ein geringer Kostenaufwand von etwa 2500 Euro pro Container sowie einfaches Auf- und Abbauen die Verwendung von Standard-Modulen bei repräsentativen Bauten mit kommerzieller Nutzung attraktiv. Eine strukturelle Spiegelung liegt der Idee für die Puma City (2008) des New Yorker Büros LOT-EK zugrunde: 24 Frachtcontainer, auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern zusammengestellt zu einem überdimensionalen, dreigeschossigen Block, zeigen sich durch horizontales Auseinanderziehen der Einzelmodule in ingeniös versetzter Positionierung. Außenräume bilden sich im Inneren, schwebende Überhänge und großzügige Terrassen verleihen dem einstigen Stahlkoloss paradoxerweise ein hohes Maß an Transparenz. Ein Statement, das sich nicht zuletzt im fragmentierten Corporate Branding widerspiegelt. Äußerlich klar in Struktur eröffnen sich im Inneren die Kastenform konterkarierende Modifikationen. So beherbergt der Komplex auf unterer Ebene zwei Verkaufsräume mit einer Breite von vier Containern, deren Volumina jeweils zwei Geschosshöhen einnehmen. Um sie herum bietet das komplett demontierbare und transportable Bauwerk Raum für Büros, Lager sowie eine Location für Veranstaltungen. Weitaus archaischer zeigt sich die Platoon Kunsthalle (2009) in Seoul. Ein gigantischer Kubus, zusammengefügt aus 28 recycelten Iso-Containern, bildet eine robuste Hülle für innen stattfindende Kunst- und Kulturveranstaltungen. So schroff das Gebilde durch seine authentische Verfassung wirken mag – viel Licht dringt durch die gläserne, statisch anmutende Rasterfassade in die Räume, dessen Gips- und Aluminiumauskleidungen Helligkeit reflektieren und somit Einblicke ins dynamische Innere zulassen.

Container-Architektur setzt auf Inszenierungen, auf ein Spiel mit Verfremdungen und Überraschungseffekten – selbst, wenn es sich lediglich um Nachbauten im Sinne eines rein ästhetischen Zitats zur Aufwertung architektonischen Ausdrucks handelt: Ein Dialog – interagierend zwischen heterogenen Formen –, ein artifizieller Kontrast zwischen Bestehendem und Neuartigem gelingt JDS Architects und der Bjarke Ingels Group: Rohe Industriearchitektur trifft bei dem Kopenhagener Jugendzentrum Sjakket (2007) auf eine im wörtlichen Sinne verrückter Behälter. Schräg aufgesetzt auf das zweifach gewölbte Dach einer alten Fabrik schlägt der schlanke Block eine visuelle Brücke zu dem benachbarten Hafen – so öffnet sich der Trakt aus rotem Wellblech zu einer Seite, eine verstrebte, raumhohe Glasfassade gibt den Blick frei auf die sockelartigen Dächer, dessen sich nach außen wölbende Bullaugen Sichtbeziehungen zur innenliegenden Sporthalle ermöglichen. 

Ob als überdachte Brücke (Hoorn Bridge, 1990, Luc Deleu) im Rialto-Stil, metaphorisch den Hamburger Hafen spiegelnde Außenhaut des Cruise Centers (Renner Hainke Wirth, 2004) oder installiertes Ensembleobjekt zum Zweck künstlerisch orientierten Imagetransfers wie am Theaterhaus Stuttgart (Plus+ Bauplanung, 2003) – der Spielraum für Experimente mit globalisierten Frachtboxen ist nahezu grenzenlos. Wie in einem Modellbaukasten scheinen Module zu stets neuen Gesichtern formbar zu sein, so als beschrieben die Unikate das Facettenreichtum der weiten Welt. Durch ökonomische Vorteile, als Antwort auf den steigenden Bedarf an flexiblem, kurzfristig verfügbarem Raum, mag Container-Projekten in funktionaler Hinsicht ein Entwicklungspotenzial innewohnen. Mit Blick auf den Fortbestand von Städten, auf deren Lebendigkeit durch architektonische Pluralität, jedoch bergen die mitunter kargen Stapel Risiken hinsichtlich Anonymisierung und ästhetischer Monotonie. Will Container-Architektur als Reaktion auf alle entscheidenden Fragen der Zukunft verstanden werden, muss sie sich eine kontroverse Diskussion um universelle Einheitlichkeit versus Streben nach Individualität gefallen lassen.

Autorin: Laura Stillers, B.A.