Das Energiekonzept der Bundesregierung kann die künftigen Wohnkosten je nach Art der Umsetzung unterschiedlich stark erhöhen. Das ergab die Studie »Energetische Gebäudesanierung in Deutschland« des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP und der TU Darmstadt, in der die Wissenschaftler verschiedene Lösungsansätze erarbeitet haben. Im Fokus der Fraunhofer-Forscher standen dabei zwei unterschiedliche Szenarien – ein technologieoffener und ein technologiegebundener Ansatz – die im direkten Vergleich analysiert und bewertet wurden. »Aus technischer und ökonomischer Sicht ist ein technologieoffener Sanierungsfahrplan mit konkreten Zielvorgaben, jedoch ohne Fest-legung einer bestimmten Umsetzungsart der kostenoptimale Weg«, sagt Hans Erhorn, Leiter der Abteilung Wärmetechnik im Fraunhofer IBP.
In Auftrag gegeben hatte die Studie das Institut für Wärme- und Öltechnik e.V. IWO. Darin sollten das Fraunhofer IBP und das Forschungscenter für betriebliche Immobilienwirtschaft FBI der TU Darmstadt untersuchen, welcher Weg sich am besten eignet, die angestrebte Primärenergieeinsparung zu erreichen und gleichzeitig die finanzielle Belastung für Eigentümer und Mieter so gering wie möglich zu halten. Das Konzept der Regierung sieht vor, den Primärenergiebedarf für die Raumwärmeerzeugung privater Haushalte bis 2050 um 80 Prozent zu senken.
Bei Fortführung des aktuellen Trends mit einer Sanierungsquote von etwa 1% pro Jahr sinkt der Energieverbrauch bis 2050 um ca. 64 Prozent. Um die noch fehlenden 16 Prozent einzusparen, müssen im Bereich der energetischen Sanierung effizientere Technologien entwickelt werden, sowie die Sanierungs-aktivitäten gesteigert werden. Das Energiekonzept der Bundesregierung legt diese Veränderungen bei seinen Annahmen zwar zugrunde, die Finanzierung der Maßnahmen müssen jedoch die privaten Haushalte übernehmen. Wie die Studie von Fraunhofer IBP und FBI aufzeigt, müssen bis 2050 somit 2,1 Billionen Euro in die Sanierung von Ein- oder Mehrfamilienhäuser investiert werden.
Sanierungsfahrpläne für die Energiewende
Das Fraunhofer IBP war während der Studie für die Entwicklung und energetische Bewertung alternativer Sanierungsfahrpläne zuständig. Dazu wurden drei verschiedene Varianten betrachtet: Im Basis-Szenario beschreiben die Wissenschaftler die momentane Entwicklung des Sanierungsverhaltens unserer Gesellschaft und die angekündigten Verschärfungen der Anforderungen durch die Regierung. Dies ist zur Zielerreichung aber nicht ausreichend. Das zweite und dritte Szenarium zeigen unterschiedliche Vorgehensweisen, um die Vorgaben des Energiekonzepts der Regierung einzuhalten. Letztere wurden eigens vom Fraunhofer IBP entwickelt und miteinander verglichen. Bei dem ersten Fahrplan handelt es sich um einen technologieoffenen Ansatz, in dem Immobilieneigentümer die Energie¬einsparmaßnahmen wie beispielsweise Außen- oder Innendämmung, frei wählen können, solange damit das Energiesparziel erreicht wird. Der technologiegebundene Ansatz schreibt den Eigentümern per Gesetz die Art der Maßnahmen und deren zeitliche Umsetzung vor.
Das Forschungszentrum Betriebliche Immobilienwirtschaft FBI der TU Darmstadt prognostizierte die Kosten der Ansätze für die Umsetzung und analysierte die finanzielle Belastung für Eigentümer und Mieter. So konnten die Forscher die beiden Sanierungsfahrpläne im unmittelbaren Vergleich bewerten.
Technologiegebundener versus technologieoffenen Ansatz
Das Ergebnis ist eindeutig: Der technologiegebundene Ansatz ist mit rund 2,1 Billionen Euro um 22 Prozent kostenintensiver als der technologieoffene, der mit rund 1,7 Billionen Euro zu Buche schlagen würde.
Mit einem technologieoffenen Sanierungsfahrplan lassen sich die Kosten je nach Gebäudetyp zwischen 16 und 33 Prozent reduzieren. Haushalte, die ein Nettoeinkommen von unter 2000 Euro haben, müssen im Falle einer techno-logiegebundenen Regulierung mit einer Wohnkostensteigerung bis 2050 um 26,4 Prozent rechnen, bei der technologieoffenen Variante wären es noch 19,6 Prozent.
Die Studienersteller sprechen sich für den technologieoffenen Sanierungs¬fahrplan mit einer konkreten Zielvorgabe aus. Allgemein gültige, technologieoffen formulierte Sanierungsfahrpläne schaffen neue Zielhorizonte und Planungssicherheit für die Baubranche wie auch für die Eigentümer und Mieter. Unterstützend ist zudem eine etappenweise Betrachtung mit Zwischenzielen sinnvoll. Eine Festlegung auf eine technologiegebundene Umsetzungsart, um das Energiesparziel zu erreichen, halten sie jedoch für kritisch. Es müssen auch künftig individuelle und situationsbedingte Gegeben¬heiten der Wohngebäude bei Sanierungen Berücksichtigung finden, damit Kosten minimiert werden können.
Innovative Sanierungskonzepte:
1. Retrokit
In dem von der Europäischen Union geförderten Projekt „RetroKit“ werden Methoden zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden erarbeitet. Ziel des Projektes ist es, neben technologischen, auch soziale, industrielle und wirtschaftliche Barrieren für Sanierungsmaßnahmen, durch die Entwicklung einer modularen und damit flexiblen Sanierungs-Box, zu überwinden.
Die multifunktionalen, vorgefertigten Module ermöglichen eine einfache und kostengünstige Umrüstung sowie einen effizienteren Bauablauf. Zugleich bieten sie die Möglichkeit verschiedene Technologien, beispielsweise Systeme zur Nutzung erneuerbarer Energien oder effiziente Lüftungssysteme, in Dächer und Fassaden zu integrieren. Optimal geeignet sind diese Sanierungstechniken für Mehrfamilienhäuser aus den Jahren 1950 bis 1970, da diese eine oft einheitliche Fassadenstruktur bei gleichzeitig hohem energetischem Einsparpotential haben und in ähnlicher Bauart in ganz Europa zu finden sind.
Neben der Entwicklung von innovativen technischen Lösungen werden im Projekt Entscheidungshilfen für Bauherren und Planer entwickelt, die neben dem möglichen Energieeinsparpotential, ebenso Kosten, Bauzeiten, Aspekte der Qualitätssicherung und der Architektur in einem nachhaltigen Ansatz berücksichtigen. 18 Partner aus 10 verschiedenen Ländern kooperieren bei der Entwicklung der Systeme, die jeweils an einem Gebäude in Frankfurt, Amsterdam und in Madrid in einer realen Sanierung demonstriert werden sollen.
Gebäudesanierungen haben enorme Bedeutung, wenn es um die Reduzierung von Energieverbrauch und CO2-Emissionen geht. Traditionell erfolgen die nötigen Baumaßnahmen getrennt nach Gewerken. Da häufig die Einzelmaßnahmen nicht aufeinander abgestimmt sind, kommt es meist zu langen Sanierungszeiten, Baumängeln und einer hohen Beeinträchtigung der Gebäudenutzer. Durch ein umfassendes Sanierungskonzept und den Einsatz minimalinvasiver Sanierungsabläufe können diese Probleme weitgehend vermieden werden.
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Projekt zielt auf die Entwicklung und Erprobung sowie anschließende Demonstration eines Sanierungskonzeptes mit industriell vorgefertigten multifunktionalen Gebäudeteilen und Bauteilkomponenten ab. Ein solches Konzept ist bei vielen Bestandsbauten einsetzbar, die vergleichsweise unkomplizierten Fassaden von Mehrfamilienhäusern der Wiederaufbaujahre bieten sich hierfür jedoch geradezu an.
Die Vorfertigung reduziert den Montageaufwand vor Ort ebenso wie die Beeinträchtigung der Bewohner. Durch vorgefertigte Fassadenelemente lässt sich der Primärenergieverbrauch für Raumheizung und Warmwasseraufbereitung deutlich senken (Werte < 40 kWh/m2a). Ein schneller und damit kostengünstiger Bauprozess kann Mietausfallzeiten reduzieren, wenn nicht sogar komplett vermeiden. Bei der Integration anlagentechnischer Komponenten wird durch eine Verwendung einfacher und robuster Systeme besonders auf eine Minimierung der Bauunterhaltskosten geachtet. Auch eine direkte Integration von aktiven Solarkomponenten in die Fassade ist möglich.
3. FreshAirWall
Innovative Fassadendämmung mit integrierter Lüftung Lüftungsführung
Einen innovativen Sanierungsansatz mit Mehrfachnutzen bietet das Lüftungssystem FreshAirWall, das vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP gemeinsam mit dem Kooperationspartner Schwenk Dämmtechnik entwickelt wurde.
Um die energetische Qualität eines Gebäudes entscheidend zu verbessern und auf das Niveau eines Niedrigenergiehauses zu bringen, empfiehlt es sich, neben baulichen Maßnahmen, auch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung vorzusehen. Speziell im Bestand ist der notwendige Aufwand für die Installation bislang meist das größte Hindernis. Eine Nachrüstung im Innenraum ist unmittelbar mit Lärm und Schmutz und folglich mit einer Beeinträchtigung der Bewohner verbunden. Auch bauliche Gegebenheiten wie Raumhöhe oder Raumaufteilung erschweren oder verhindern gar die Nachrüstung einer Lüftungsanlage.
Die Lösung hierfür bietet das patentierte System „Fresh Air Wall“ durch die innovative Kombination von Gebäudedämmung und Gebäudelüftung. Das Einbringen der Lüftungskanäle in die Wärmedämmverbundplatten erfolgt bereits im Werk, sodass der Montageaufwand vor Ort nur geringfügig über dem eines üblichen Wärmedämmsystems liegt. Kernbohrungen durch die Gebäudewand von innen ermöglichen die Anbindung der Lüftungsanlage an die Räume. Für den Einsatz in der Altbausanierung sprechen neben baulichen Gegebenheiten und der Minimierung von Schmutz und Lärm, die enormen Kostenvorteile, die durch die nicht benötigten Rohrleitungen sowie die Vorfertigung entstehen.
Die intensive Testphase des neuartigen Dämmsystems läuft an einem zweigeschossigen Wohnhaus aus den 1920er Jahren in Kassel. Neben der Untersuchung und Bewertung des Sanierungsprozesses wird das Sanierungssystem im Rahmen von detaillierten Simulationsstudien sowohl thermisch als auch hydraulisch hinsichtlich der Energieeffizienz optimiert. Die Entwicklung und Validierung von thermisch-dynamischen Modellen für die Dämmelemente sowie die Kanalführung sind hierbei Voraussetzung für die Erarbeitung von Auslegungsempfehlungen und Planungstools. Neben diesen Fragestellungen werden im Projekt akustische und hygienische Aspekte sowie die Sicherstellung der Brandschutzanforderungen betrachtet.
4. Entwicklung alternativer Wärmeversorgungskonzepte im Rahmen der Sanierung
Im Zuge der Sanierung der Heinrich-Lübke-Siedlung, einer typischen Siedlungsstruktur der späten 70er Jahre in Frankfurt am Main, werden durch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik verschiedene Wärmeversorgungskonzepte entwickelt und sowohl energetisch als auch ökonomisch bewertet.
Ziel der Untersuchung ist die Entwicklung alternativer Wärmeversorgungskonzepte, die eine Vorbildfunktion für die nachhaltige Sanierung von Großsiedlungen der 1970er Jahre erfüllen können. Hierzu werden verschiedene Varianten der Wärmeversorgung unter Einbezug des bereits existierenden Nahwärmenetzes untersucht und mit dem derzeit angedachten Versorgungskonzept verglichen.
Betrachtet werden, auf Grundlage einer dynamisch-thermischen Gebäudesimulation zur Berechnung des Wärmebedarfs für Heizung und Warmwasser, sowohl dezentrale Konzepte als auch Varianten, die auf einer gebäudezentralen Versorgung basieren. Diesbezüglich wird beispielsweise die Verwendung solarer Nahwärmekonzepte, verschiedene Wärmepumpensysteme und der Einsatz einer Kraft-Wärme-Kopplung betrachtet. Zudem wird eine bauphysikalische Variante im Gesamtkonzept entwickelt und bewertet, durch deren verbesserten Wärmeschutz eine größtmögliche Minimierung des Energiebedarfs erreicht wird.
Da sich eine große Anzahl unsanierter Gebäude bis Baujahr 1978 in zentral versorgten Siedlungsstrukturen befindet, ist eine Übertragbarkeit der aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse auf vergleichbare Gebäudeensembles gegeben.