FF Architekten – Das Prinzip des ungewissen Ausgangs

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Das Prinzip des ungewissen Ausgangs ist eine Methodik der Projektentwicklung, die darauf fußt die Randbedingungen eines Projektes zu ermitteln und auf ihnen basierend eine Lösung zu erarbeiten. In der Lehre von O. M. Ungers werden systemanalytische Ansätze in den Entwurfsprozess integriert und mit dem Begriff der “Bindungen” eines Projektes besetzt. Hierbei lassen sich die Agierenden nicht auf eine feste Vorgehensweise ein, sondern handeln flexibel, passend zu der jeweiligen Art der Randbedingungen. Diese werden dadurch herausgestellt, dass man die überlagerten historischen, sozialen, ökonomischen und anderen relevanten Schichtungen des Bestandes analytisch erkennt, interpretiert und nutzbar macht. Ein Projekt wird hierbei – wie bei der russischen Holzpuppe “Matrioschka” – aus seinen Schichtungen geschält und dem Betrachter in seiner Vielfältigkeit dargestellt.

Katharina Feldhusen und Ralf Fleckenstein von FF Architekten nutzen diese Herangehensweise, um sich der Aufgabe in konzeptionell-experimenteller Weise zu nähern – in enger Kooperation mit allen Projektbeteiligten. Die Ungewissheit des Ausgangs eines Projektes wird hierbei nicht als Mangel wahrgenommen, sondern vielmehr als Chance einer Ausdrucksform so viel Freiraum wie möglich zu geben.

Das Prinzip der Matrioschka ist bei der Bearbeitung der Bibliothek in Luckenwalde nicht nur Ausdruck der Methodik sondern auch Organisationsstruktur des Bestandsgebäudes und seiner Randbedingungen. Die Stadt Luckenwalde – 50 Kilometer von Berlin gelegen – wurde in wilhelminischer Zeit an die Bahn angebunden und erlangte hierdurch industrielle Bedeutung in der Hut- und Tuchmacherei. Der Bezug zur Hauptstadt stellte eine wichtige Randbedingung für die Konzeption der Bibliothek in Luckenwalde dar.
Die Deutsche Bahn hatte in Folge einer Nutzungsanalyse den Bahnhof zum Haltepunkt degradiert und damit eine städtebaulich kritische Lücke im Herzen der Stadt aufgetan. Der denkmalgeschützte und sanierungsbedürftige Bahnhof musste im Rahmen der Entwicklung des Bahnhofsareals einer neuen Nutzung zugeführt und städtebaulich reaktiviert werden. Hierbei durfte der Haltepunkt nicht eingeschränkt werden. Die Stadtbibliothek benötigte mehr Nutzfläche als das Bestandsgebäude zur Verfügung stellen konnte. Ein Anbau war notwendig.

Den Wettbewerb gewann die Arge FF Architekten mit Martina Wronna. Die Arge hatte eine Fortschreibung der Schachtelung herausgearbeitet:
Das Bestandsgebäude besteht aus drei hintereinander geschachtelten Kuben, die die verschiedenen Zonierungen des wilhelminischen Bahnhofs abbilden. Diese wurden zum Teil wieder hergestellt und um einen goldfarbenen, schrankartigen Anbau ergänzt. Dieser ist zweiachsig gekippt, um den verschiedenen Bewegungsformen um den Bahnhofsplatz Rechnung zu tragen.
Die goldene Metallfassade des Anbaus beschert dem Platz ein Objekt, welches ins Auge fällt, aber gegenüber dem Bestandsgebäude nicht zu viel Raum einnimmt.
Durch diese Aktivierung des Platzes entsteht ein Ort mit Identifikationswert.

Eine Bibliothek als Erweiterung des öffentlichen Raumes zu gestalten, war bei der Sanierung und Erweiterung der Bibliothek am Kottbusser Tor ein Bindungsfaktor. Der Berliner Stadtteil Kreuzberg – weithin als multikultureller Schmelztiegel berühmt und als sozial schwaches, problembehaftetes Viertel berüchtigt – bietet mit seiner Bevölkerungsdichte und Heterogenität einen sehr anspruchsvollen Rahmen für die Umsetzung von Bauprojekten. Dies zeigt sich insbesondere bei der energetischen Sanierung eines Bibliotheksgebäudes aus den sechziger Jahren. Die Aufgabe einer Stadtteil- oder Mittelpunktbibliothek liegt auch darin, Bildungs- und Lernort für Anwohner verschiedener Altersstufen und Ethnien zu sein. Eine Aufgabe, die das Gebäude – als reines Medienrepositorium konzipiert – nicht mehr zu erfüllen in der Lage war.
Ein Umbau, der die Anforderungen dieses vielfältigen Programmes uneingeschränkt zu erfüllen vermochte, war mit den Mitteln aus dem Konjunkturpaket II für die energetische Sanierung nicht möglich.
Um dem sehr engen finanziellen Rahmen Rechnung tragen zu können, wurde der notwendigen strukturellen Sanierung eine konzeptionelle vorgeschaltet: Mit dem Bibliothekspersonal wurde das Aufgabenspektrum abgesteckt und bis in die Detailebene erörtert. So konnte ein Konzept entwickelt werden, in dem der bestehende Einraum mit Regalen und Leseplätzen durch Funktionszonen ersetzt wurde, die die Geschosse sinnvoll unterteilen und kleinere, aufeinander bezogene Einheiten aus Veranstaltungsräumen und Lesebereichen bilden.
Eine besondere Aufenthaltsqualität wird dadurch erreicht, dass das Mobiliar nicht nur auf eine Nutzungskonstellation zugeschnitten ist, sondern eine freie Bespielung der jeweiligen Funktionszone erlaubt. Den Nutzern werden unkomplizierte und flexible Umstellungen ermöglicht, wodurch die Attraktivität für verschiedene Nutzergruppen zu verschiedenen Zeiten deutlich erhöht wird. In diesem Sinne entwickelt das Bibliotheksgebäude urbane Qualitäten, da es nicht nur eine spezifische Nutzergruppe anspricht, sondern vielen Bedürfnissen und Ansprüchen gerecht wird.

Die Fassade des Sechzigerjahrebaus wurde durch lange Fensterbänder und ungedämmte Wandfelder bestimmt, die dem Auge keinen Fixpunkt boten. Indem der Fassade eine Ebene aus Profilbauglas vorgehängt wurde, konnte den Wandflächen eine dämmende Luftschicht vorgeschaltet werden. Die Fensterbänder wurden reduziert, ohne dass auf Belichtungsfläche verzichtet werden musste. Punktuell sind Fenster eingebaut. Diese leiten und halten den Blick und unterbrechen die ansonsten strenge Aufteilung der Fassade. Die Profilelemente in den Fensterfeldern wurden mit transparenter Wärmedämmung befüllt und steigern somit deren energetische Effizienz. Die resultierende Fassade leugnet die Herkunft ihrer Bausubstanz nicht, überlagert diese jedoch mit eigenen Werten und bestärkt die Heterogenität des Ortes. Das Gebäude spiegelt die Umstände wider, die das Leben am Kottbuser Tor prägen: Finanziell angespannte Rahmenbedingungen sowie die Vielfalt der Kulturen. All dies macht den “Kotti” aus – und jetzt auch seine Bibliothek.

FF Architekten wollen keine eigene Architektursprache besitzen, sondern in Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft die Ausdrucksformen aus den Bindungen von Aufgabe und Ort herausarbeiten. Diese Herangehensweise führt dazu, dass die Ausdrucksweise der Architekten sehr vielfältig, die verwendeten Lösungsansätze mannigfaltig und ortsnah sind. Die Architektur ist weder gefällig noch unumstritten. Konfliktbeladen und kantig lädt sie dazu ein, sich zu ihr zu positionieren und sie in das eigene Leben hereinzulassen. So entwickeln FF Architekten Gebäude mit einer Anziehungskraft, die sich einem durch die Notwendigkeit einer persönlichen Konfrontation erst erschließen und somit eine Form der Individualität erreichen.