Hidden Architecture – Verstecken oder Täuschen

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Warum sollte man Architektur verstecken wollen? Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist der Akt des Versteckens dem Wesen der modernen Architektur konträr. Es scheint keinen gestalterischen Grund zu geben, der für das Verstecken spricht. Als ob die durch die Moderne begründete Architektur kein Mittel besäße, um das Verstecken baulich zu fassen. Der Akt des Versteckens entspringt dem Bedürfnis des Schutz-Suchens und wird eher durch das Unterkommen in Höhlen erfüllt denn durch das Bauen und Nutzen eines Hauses, das seine Schutzfunktion durch die Stärke seiner Konstruktion erfüllt und nicht durch Unsichtbarkeit.

Um eben jene Unsichtbarkeit zu erreichen, muss man die Sicherheit der Metaphern des konventionell Gebauten aufgeben und sich einer anderen Realitätsinterpretation bedienen. Diese entspringt dem Umgang mit dem Ausgesetzt-Sein, der Machtlosigkeit. Eine Problematik, die in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion um Datenproprietät und globale asymmetrische Kriegsführung aktueller denn je zu sein scheint.

Ein Gebäude, welches zur Illustration dieser Denkweise herangezogen werden kann, ist das Sculpture House von Jacques Gillet. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein Einfamilienhaus, das 1969 vom Architekten zusammen mit dem Künstler Felix Roulin und dem Bauingenieur René Greisch erbaut wurde. Am Rande einer Einfamiliensiedlung bei Lüttich inmitten von dichtem Bewuchs erbaut, besteht das Gebäude aus drei Zonen, die sich um eine Mitte gruppieren und in ihr verlaufen. Die Wände sind doppelt gekrümmte Schalen aus drahtgitterbewehrtem Spritzbeton, welcher innen durch Dämmschaum isoliert wurde.
Die Installation wird frei vor der Wand oder innerhalb des Dämmschaums geführt und erweckt zusammen mit dem eingestellten Mobiliar den Eindruck der Aneignung durch den Nutzer. Das Gebäude wird damit zur Antithese eines deterministischen Bauens. Wichtiger noch ist der Assimilationsprozess, dem sich das Gebäude innerhalb seiner natürlichen Umgebung unterwirft. Die Materialität der Wand erlaubt einen Bewuchs, mittels dessen das Gebäude innerhalb seiner Umgebung aufgeht. Im Verlauf der Jahre ist so aus einem Gebilde aus Schalen inmitten des verwilderten Gartens eine bewohnte Grotte geworden. Das Gebäude versteckt sich und seine Bewohner vor den Blicken seiner Nachbarn. Es nimmt hierbei gleich mehrere in der heutigen modernen Architektur diskutierte Formen der gestalterischen Intervention vorweg und erlaubt deren Betrachtung und Falsifizierung an Hand eines vergleichsweise langen Zeitraums von 34 Jahren. Aneignungsprozesse, heute als vieldiskutierte Herangehensweise aus der Betrachtung von Slum-Typologien, finden hier konkret statt, können im Rahmen eines europäischen Lebensentwurfes erfasst und analysiert werden. Assimilationsprozesse können in ihrer Langfristigen Wirkung betrachtet werden. Und schlussendlich kann man die generativen Prozesse, um die heute unter dem Begriff des Parametric Design kontrovers gestritten wird, empirisch erfassen und damit konkret bewerten.

Es steht in Frage, ob man sich für den konventionell-konstruktiven Schutzbau entscheiden kann und dennoch jene gewünschte Unsichtbarkeit erreicht. Moderne Schutzbauten wie die sogenannten falschen Chalets – Bunkeranlagen der Schweizer Landesverteidigung – stellen solche versteckte Architektur dar. Alternativ lässt sich auch der Schutz in der Masse finden. Wie bei der Merkez Moschee in Frankfurt, welche sich hinter einem kleinen Eingang in Mitten der Flure, Ein- und Durchgänge des Bahnhofsviertels versteckt. Aber auch eine ganz andere Form der Architektur, die Netzwerkarchitektur, kann hier gewählt werden.

Falsche Chalets sind Bunker, welche in den Dörfern und Weilern der Schweiz an taktisch vorteilhafter Position gebaut wurden, um einem Invasor einen möglichst hohen Blutzoll abzufordern. Ihr Gestaltungsmittel ist die Camouflage. Getarnt als Scheune, Chalet oder Garage sind diese Gebäude Teil des öffentlichen Dorflebens, ohne darin integriert zu sein. Daher wirken sie wie die Relikte des Atlantikwalls – auf verwirrende Art funktionsberaubt, da ein konventioneller Angriff nicht mehr zu befürchten steht. Sollte ein solcher Angriff doch erfolgen steht zu befürchten, dass diese Form von Feldbefestigungen im Zeitalter der bunkerbrechenden Bewaffnung obsolet geworden sind. Dennoch liegt dem seit 1995 in Umstrukturierung befindlichen Modell der Schweizer Landesverteidigung ein gültiges und breit gewünschtes raumbildendes System zu Grunde, das es zu betrachten gilt. Insbesondere, da es in seiner Form als volksheergetragene Verteidigung mit großer Mehrheit durch Volksabstimmung bestätigt wurde.

Im Februar diesen Jahres wurden im Museum der Weltkulturen in Frankfurt verschiedene Kunstobjekte der Architekturklasse der Städelschule zu versteckter Architektur unter dem Thema „Stealth Architecture“ ausgestellt. Darin haben die Ausstellenden sich verschiedener Themen rund um Frankfurt angenommen: Unter den Eingängen, Durchgängen und Fluren, die die Blockrandbebauung des Frankfurter Bahnhofsviertels durchziehen, befindet sich in der Münchener Straße ein unscheinbarer Eingang, der zur Merkez Moschee führt. Die Gemeinde umfasst etwa 65 Tausend Gläubige. Joel Roy ermittelt mit seinen eindrucksvollen Modellen die Disparität zwischen Eingangswirkung und Nutzfläche. Die Frage schwebt im Raum, ob diese Gläubigen gezwungen sind, sich und ihren Glauben zu verstecken oder ob es ein bewusstes Zurückziehen ist, das in der heutigen Gesellschaft neue Bedeutung erlangen kann.

Ein weiteres Exponat: Ein schwarzer Block mit Lasergravur, den Iva Baljkas gestaltet hat. Die Gravur gleicht einem Schaltplan, bei dem es sich um die Darstellung der Datenleitungen der Frankfurter Börse handelt. Diese Datenleitungen sind keine Architektur, doch bedingen sie diese. Der Ursprung von Architektur ist hiermit nicht mehr aus dem Nutzerbedürfnis heraus sondern aus der Erfüllung rein virtuell bedingter Ansprüche gefordert. Die konkrete Architektur, in Frankfurt als dem weltgrößten Internetknotenpunkt mit entsprechenden Gebäuden vertreten, wird zur Einhausung und Verwaltung immaterieller Herrschaftsansprüche herangezogen. Ein Prozess, der Architektur als (Stadt-)Baukunst zu entwerten droht.

Ein Bild, das Neal Stephenson 1992 in seinem Cyber-Roman „Snow Crash“ auf die Spitze treibt. „Snow Crash“ ist eine überdrehte Dystopie. Eine Architektur- und Gesellschaftskritik, die die künstlerische Interpretation und Darstellung der Frankfurter Datenleitungen als Black-Box vorwegnimmt und die heute gängige IT-Sprache maßgeblich beeinflusst hat.
Die Implikationen, die eine Realisierung der Stephensonschen Dystopie für unser Bauen hat, sind erschütternd, fußen sie doch darauf, dass die Gesellschaft und ihre Architektur einer immer mehr dynamisierten Realität nur noch willkürliche Formalismen entgegensetzen können.

Autor: Paul Mocanu