Je größer, desto beeindruckender? Auf riesigen Grundstücken entstehen Gebäudekomplexe, die an architektonischer Raffinesse kaum zu übertreffen sind. Volumina, die ihre Schatten vorauswerfen, und damit kleine, aber feine Bauwerke in ebendiese stellen. In Zeiten restriktiver Budgets ist bei den progressiven Entwürfen für kleindimensionale Architektur Aufmerksamkeit geboten: Eröffnen derartige Projekte einerseits Freiheiten zur Verwirklichung von Ideen, gilt andererseits die Herausforderung, Ästhetik und Funktionalität in intelligenter Symbiose darzustellen. Nicht als einziger, jedoch maßgeblich mit seinem Cabanon (Roquebrune/Cap Martin, 1951-52) hat Le Corbusier zur Entwicklung jener kleinen Fluchten einen wesentlichen Beitrag geleistet: Kritik erregend, da gar nicht Corbusier-like, so die Resonanz auf die minimalistische Ferienhütte, die gemäß Modulor mit einer Fläche von 3,66 x 3,66 Metern und 2,26 Metern Höhe als Idealzelle fungierte – und gleichsam der Interaktion von Architektur und Umgebung Rechnung trug. So weist das Cabanon nicht nur Naturverbundenheit auf, auch schien es durch seine spärlich-funktionale Ausstattung Anforderungen an ein bescheidenes Feriendomizil zu erfüllen. Längst haben zeitgenössische Büros das experimentelle Erbe angetreten, transformieren es in Ideen, die stets auf Neue beweisen, wie sehr innere Werte zählen, indem sich Konzepte fernab geschlossener Einheiten flexiblen, offenen Raumplanungen zuwenden.
Die Leidenschaft zu funktionalisierten Räumen teilen Tengbom Arkikter. Für den Prototyp ihrer Studentenboende (2013) ging das schwedische Büro von einem Mindestbedarf von zehn Quadratmetern aus. Ganz in Holz gefertigt mit spielerisch geschwungenen Öffnungen erinnert die kostengünstige Wohnzelle äußerlich an ein Puppenhaus – und obschon auch im Inneren Miniatur das Leitmotiv ist, das kompakte Appartement ist nicht nur samt Gärtchen mit Veranda komplett ausgestattet, sondern entspricht zudem ökologischen Kriterien wie Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Lange sind Ressentiments gegenüber dem Bauen mit Holz überholt, befindet sich doch Le Corbusiers Kiefernholzhütte bis heute in gutem Zustand.
Auf dem Entwicklungsweg von Einraumzelle zu Familienhaus treffen auch die Micro Cluster Cabins (Vestfold, Norwegen, 2014, Reiulf Ramstad Arkiteter) auf Verkleidungen aus Holz. Strukturell dreigeteilt, ergeben ihre 70 m² einen Raum: Einzeln als geometrische Volumina definiert, organisieren sie sich um einen Außenbereich, der sie als Einheit bündelt. Diese bittet nicht nur durch natürliches Material, sondern auch in der Ausrichtung der verglasten Giebel das Umfeld zum räumlichen Dialog. Ein ähnliches Konzept verfolgt Carlos Alejandro Ciravegna mit 5 Houses (Cordoba, Argentinien, 2014). Obgleich auch hier das Spiel mit einer Hausgruppe im Fokus steht, ist es vielmehr ein urbanes Profil, welches innerhalb der Berglandschaft nahe des San-Roque-Sees evoziert werden soll. So rekurriert das als strukturell zusammengehörig zu perzipierende Ensemble mit einer Nutzfläche von 500 m² zwar auf die topographischen Bedingungen. Dennoch zielt die formale wie materialbezogene Synthese auf intendierte Eigenständigkeit des Komplexes ab. Innerhalb des zweiteiligen Modulsystems zeigt jede Villa dabei ein individuelles Gesicht – hier eine längliche Fensteröffnung, wo sie dort quer steht, hier ein westlich orientierter Giebel, wo er dort gen Osten weist. Autark, aber enger gekoppelt an traditionelle Baukonventionen zeigt sich der von Narein Perera realisierte Estate Bungalow (Matugama, Sri Lanka, 2010).
Auf einem Hügel thront das Haus, das typologisch dem Chena Watch-Hut nachempfunden wurde, und fungiert als friedvoller Rückzugsort. „Die Erde nur leicht berühren“ soll es gemäß einheimischer Tradition, so beginnt die bewohnbare Konstruktion aus Stahl, Holz und Bambus erst oberhalb des Stützengerüstes. Auf Decks bilden sich Räume als hölzerne Kuben aus, dessen höchstgelegener von einem asymmetrischen Satteldach bekrönt wird. Ein optisches Ungleichgewicht entsteht, Symbol latenter Zeitweiligkeit, ist das Haus doch erschaffen, um abbaubar und wiederverwendbar zu sein. Eine Resorption regionaler Charakteristika erweist sich ebenso für das mobile Strandhaus von Crosson Clarke Carnachan als zentral. Geplant für die erosive Küste der neuseeländischen Coromandel-Halbinsel sockelt The Hut on Sleds (2011) auf Holzkufen, um den Standort wechseln zu können. Hinter dem simpel wirkenden Konzept verbirgt sich auf 48,8 m² eine vollwertige Unterkunft für fünf Personen unter effizienter Raumnutzung. Formal handelt es sich hier um einen aufrecht stehenden Quader, dessen wetterresistentes Eichenholz – als ästhetische Reminiszenz an Strandhütten oder Aufsichtstürme – das raue Küstenszenario widerspiegelt und als Schutz vor klimatischen Einflüssen dient. Dies besonders durch breite Fensterläden, die rund herum das geschlossene Wohnvolumen in ein offenes verwandeln. Licht und größtmögliche Öffnung auch für House F (Esslingen, 2014): Ein schmaler Korpus mit 4,70 Meter Breite und 14 Meter Höhe, dessen zwei untere Geschosse sich in einen Steilhang stemmen. Wie bei The Hut pointieren hier Finckh Architekten zwar auch die (viergeschossige) Front, in dem sie ihr lichtregulierende Aufgaben zusprechen.
Neuartig ist der das Spiel zwischen hauchdünner Beton-Trag-Konstruktion und ultraleichter Haut, zwischen Licht und Schatten: Lediglich sechs Zentimeter stark ist das Glas, welches den Raum nach außen weitet. In irregulärem Rhythmus in die Fassade integrierte transluzente Flächen schützen vor Blicken, die das glatte Äußere zurückwirft. Brutalistische Tendenzen dagegen greifen BAK arquitectos auf. Nahe Buenos Aires realisierten sie 2013 das V+D Set. Mit schroffer Hülle aus Beton und Glas kontrastiert der Mini-Koloss visuell mit der pittoresken Waldlandschaft. Und dennoch, indem Platten aus regionalem Pinienholz für die Schalung des Rohbetons verwendet wurden, schnürt so paradoxerweise gerade das Material ein festes Band zwischen Haus und Landschaft. Archaisch präsentieren sich die wuchtigen Würfel, welche sich nebeneinander, gestapelt und verzahnt zu einem seine konstruktiven Merkmale äußernden Ensemble formen. Strenger Geometrie folgend teilen sich die 414 m² funktional in Wohn- und Außenflächen auf, dessen Mobiliar und Treppen ebenso aus Beton sind.
Die intelligente Koordination von Formen wird zudem durch den Bedarf an Lösungen für Baulücken inmitten eines dichten urbanen Gefüges auf den Plan gerufen: Schlank schiebt sich im japanischen Nada das von Fujiwarramuro entworfene Nada Wohnhaus zwischen seine steinernen Nachbarn. Diese überragt der Bau um ein Geschoss, schließlich beherbergt er eine Nutzfläche von insgesamt 63, bei nur 37 m² bebautem Grund. Räumlicher Enge wirken dabei sowohl Optik als auch Struktur entgegen: Holz, außen vertikal angebracht oder als Dielenboden im Inneren, vermittelt Wohnlichkeit. Weiß verputzte Wände reflektieren Helligkeit, welche durch Oberlicht und den drei Geschosse durchbrechenden Schacht den Innenraum großzügig beleuchtet. Terrassenebenen erzeugen dort Offenheit, Sichtbeziehungen dominieren die Struktur. Trotz geringster Fläche weit voraus – mit Blick über das engmaschige Dächernetz von Athen klingt dies wenig realistisch. Mit The Minimum Structure (2014) beweisen Deltarchi|Dragonas Christopoulou Architects das Gegenteil. Vier Stützen tragen das Holzhaus, das sich über nur 9 m² Grundfläche aufspannt, und zwei Meter erhoben der Skyline ein Häubchen aufsetzt. Statt der Stadt zu entfliehen, um in der Natur einen Rückzugsort zu finden, offeriert das Häuschen einen solchen mittendrin und dennoch isoliert. Der Kontrast bleibt im Äußeren evident: Die klare Konstruktionsidee aus Wänden und Satteldach öffnet sich in durchlässiger Interpretation aus vertikalenHolzstreben und großzügigem Bandfenster.
Ein Ort, geplant zum Zweck einer neuen Wahrnehmung der Stadt, die mit ihren Schornsteinen als artifizielle Landschaft verstanden werden will. Transparenz zeichnet ebenso die Rolling Homes (2014, DO Architects) aus. Designt für Litauens Küste stellen die dynamischen Einfamilienhäuser liegende Zylinder dar, dessen runde Seiten durch Glasfassaden geschlossen sind – Natur wird visuell wie physisch erlebbar: Natürliches Licht durchdringt alle drei setzkastenartigen Etagen. Derartige Visionen konterkarieren (Seh-)Gewohnheiten – ihr kapriziöser, skulpturaler Charakter markiert das, was für diese nonkonformistischen Ideen gemeinhin gilt: Sie sind Konvergenzpunkte von Kunst und Architektur. Yoon Space macht dies mit dem Albang Egg Room (2014) deutlich. Die futuristische Dependance des Wohnzimmers ist transportabel und lädt zum Verweilen ein. Ob Skulptur oder Architektur – mit farbigen Türen, Bullaugen sowie puristischem Innenleben bestätigt das überdimensionale Ei stellvertretend für ein Kaleidoskop an Projekten das Diktum: Je kleiner, desto beeindruckender.
Autorin: Laura Stillers, B.A.