Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée (MuCEM)

0
564

Seit Juni letzten Jahres ist Frankreich um ein Museum von beeindruckender Architektur reicher. Das „Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeerraums“ (kurz MuCEM) wurde Anfang Juni im alten Hafen der südfranzösischen Stadt Marseille eröffnet. Hauptanlass für den Neubau war, dass Marseille zusammen mit Košice in der Slowakei zur Kulturhauptstadt Europas 2013 ernannt wurde. Aus diesem Grund hat man in der Hafenstadt Museen renoviert, umgebaut und sogar neu errichtet. Der alte Hafen ist Marseilles Dreh- und Angelpunkt. Es wurde besonderer Wert darauf gelegt, die dortigen Kultur- und Tourismuseinrichtungen bis 2013 noch weiter auszubauen und zu beleben. Deshalb wurde die Fußgängerzone erweitert und nach dem Abriss kleinerer Gebäude am Hafen, ein Pavillon von Foster & Partners sowie die Villa Méditerranée von Stefano Boeri aus Mailand hinzugefügt.

Auf einer künstlichen Halbinsel wurde das MuCEM geschaffen. Es befindet sich direkt neben dem Fort Saint-Jean, das aus dem 17. Jahrhundert stammt und ist mit diesem durch eine vom Dach ausgehende, 130 Meter lange, schmale und freitragende Brücke verbunden. In Teilen des Forts sind ebenfalls Ausstellungen zu sehen. Bis in die 60er Jahre befand sich hier militärisches Sperrgebiet. Das Kulturministerium, zu dem es später gehörte, bemühte sich ebenfalls nicht, es für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern brachte dort das Institut für Unterwasserarchäologie unter.
Vom Fort aus kann man weiter in Richtung Panier-Viertel spazieren. Hierfür wurde eine weitere schlanke Fußgängerbrücke aus ultrahochfestem Spannbeton erbaut.

Das MuCEM soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs sein. Im Museum wird die Geschichte und die Traditionen der Mittelmeerländer erlebbar gemacht und Kunst von allen Anrainer-Staaten gezeigt. Es soll zum Nachdenken über eine Mittelmeerkultur angeregt werden. Darum scheint auch kaum ein anderer Ort in Frankreich passender zu sein als Marseille. Schließlich handelt es sich hier um eine multikulturelle Stadt am Schnittpunkt zwischen der westlichen Welt und dem afrikanischen Kontinent. Der Direktor des Museums, Bruno Suzzarelli, weist darauf hin, dass das Museum außerdem ein “großer Akt bei der Dezentralisierung der Kultur” sei. Mit dieser Äußerung spielt er darauf an, dass es bis heute wenige bedeutende Museen in Frankreich gibt, die nicht in Paris stehen.

Architekt des MuCEM ist Rudy Ricciotti, der 2002 als Sieger aus einem international ausgeschriebenen Wettbewerb hervorging und dem in Bandol bei Marseille ein mittelgroßes Architekturbüro gehört. Er stammt aus Algerien, studierte in Marseille an der Ecole d’Architecture und war somit wie geschaffen, ein Gebäude für die gestellte Aufgabe zu entwerfen. Seine Kenntnisse über den Ort – die Winde, das provenzalische Licht und die verschiedenen Ausblicke – sind in den Entwurf eingeflossen.

Der Grundriss des MuCEM basiert auf einem Quadrat, dessen Außenwände jeweils genau 72 Meter messen. Hinter der äußeren Hülle des Gebäudes verbirgt sich ein weiterer Kubus von jeweils 52 Metern Kantenlänge im Grundriss und 18 Metern oberirdischer Höhe.
Im Erd- und zweiten Obergeschoss befinden sich die Ausstellungsräume, die über bis zu 9 Meter Raumhöhe und 3.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche verfügen.
Die Tragkonstruktion besteht aus Ultrahochleistungsbeton mit Decken aus bis zu 23 m langen, hellgrauen Spannbetonfertigteilen. Dies ist ein Material, das Ricciotti auch schon bei anderen Bauwerken, z.B. einer Brücke in Seoul, Südkorea erfolgreich eingesetzt hat.
Der Innere Kubus ist umgeben von Stützen, die wegen ihrer organischen Form an Äste erinnern. Betritt man das Foyer, so wirkt es trotz vieler Glaselemente wegen der schwarzen Wände und den Böden aus dunkelgrauem „béton ciré“ recht dunkel. Vom Foyer ausgehend führen Rampen um den inneren Kubus, in dem sich Ausstellungs- und Konferenzräume befinden, herum bis zur großzügigen Dachterrasse, auf der wärmebehandelte amerikanischer Esche verlegt wurde, die sich dadurch auszeichnet, besonders wetter- und belastungsresistent zu sein.

Das Dach wirkt wie ein filigranes Netz. Es handelt sich hierbei um Betonfertigteilgitter mit organischen Formen, die an Fischernetze erinnern sollen. Die Paneele messen 6 x 3 Meter, sind lediglich 10 cm dick und auch an zwei weiteren Außenfassaden angebracht. Die in grau gehaltenen Betongitter harmonieren je nach Lichtsituation und Blickwinkel mit dem jeweiligen Ausblick und scheinen dann entweder mit dem Meer oder mit der Küstenlandschaft zu verschmelzen. Gleichzeitig übernehmen sie die Rolle des Sonnenschutzes und bewahren so die wertvollen Exponate vor zu viel Lichteinstrahlung. Gleichzeitig entstehen bei sonnigem Wetter interessante Lichtmuster im Inneren.
Die beiden anderen Fassaden, hinter denen sich Büro-, Verwaltungsräume und ein Shop befinden, bestehen aus einer Glaskonstruktion. Diese Bereiche verfügen außerdem über ein eigenes Tragsystem aus zweireihigen Stützen. In den zwei Untergeschossen des Museums befinden sich unter anderem Lager, Archive, Technikräume und ein zweigeschossiges Auditorium mit 325 Sitzplätzen. Als aussteifende Elemente dienen Wandscheiben, hinter denen sich geschickt Aufzüge, Treppen und WC-Anlagen verbergen.
Einen besonderen Anblick bietet das MuCEM bei Nacht. Dann wir es durch eine von Yann Kersalé entworfene Beleuchtung in ein Farbenspiel aus Blau und Türkis getaucht.

Das Fort Saint Jean war früher eine Festung, die Marseille vor den Gefahren des Mittelmeers schützte und abschirmend wirkte. Dadurch, dass nun das MuCEM an die vorderste Front gebaut wurde, öffnet sich die Stadt heute wieder in alle Richtungen und verkörpert so eindrucksvoll den Gedanken der gemeinsamen Mittelmeerkultur.

Autorin: Eva Kruse-Bartsch